Kategorie: Kolumne

Wege des politischen Twitterns

Twitterland ist kleiner als Facebook-Country und das Bevölkerungswachstum zwar beachtlich, verglichen mit Facebook aber deutlich bescheidener. Das ist ungünstig für den Börsenkurs von Twitter, aber vorteilhaft für die Bewohnerinnen und Bewohner von Twitterland. Denn dies macht ausufernde Uebergriffe der Werbeindustrie unwahrscheinlicher.

In Twitterland leben vor allem drei Bevölkerungsgruppen: a) Journalistinnen und Journalisten, b) Politiker und Politikerinnen sowie c) Marketing-Fachkräfte aller Art. Einverstanden, auch einige Bildungs-Freaks haben sich ins Twitterland verloren. Der Autor weiss, wovon er spricht.

Wenden wir uns der twitternden Politik zu. Grob lassen sich drei Spielarten unterscheiden, wie Politikerinnen und Politiker Twitter nutzen. Es geht um real existierende Nutzungstypen, nicht um deklarierte, erhoffte, geforderte usw. Dieser notizhafte Kommentar setzt auf einer Studierendenevaluation auf.

Bei der ersten Variante nutzen die Akteure Twitter als blossen Verkaufskanal: Ein Kanal mehr, um die eine Botschaft zu kolportieren: „Wählt mich“. Entsprechend lassen sich die Tweets als Heldentaten-Potpourri charakterisieren.

Mögliche Beispiel: a) „Gestern Rede bei Eröffnung Kulturzentrum gehalten. Betonte die #Wichtigkeit von Kultur.“ b) „Steuerfuss wird nicht angehoben. #Mein Einsatz hat sich gelohnt.“

Beim zweiten Typus wird Twitter als News-Maschine betrieben. Die politischen Akteure verbreiten scheinbar nüchtern und sachlich, wie sie das Weltgeschehen gedeutet haben wollen. Reality Engineering, könnte das Label für diese Art symbolischer Politik lauten.  Den Varianten eins und zwei ist gemeinsam, dass sie kaum so genannte Authentizitätsrisiken beinhalten. In der Regel sind die Formulierungen ausgewogen, abgewogen, kaum verbogen. „Wir haben uns daran gewöhnt, dass Politiker nicht wie normale Menschen sprechen, sondern aalglatte Statements von sich geben“, formuliert der Politiker Kurt Fischer in einem Tweet vom 17.2.2014 treffend (@fischerkurt). Er selber übrigens bevorzugt die dritte Variante des politischen Twitterns.

Und schliesslich Variante drei: Politikerinnen und Politiker nehmen Stellung, bieten Kante und sind offensichtlich bereit, Authentizitätsrisiken einzugehen. Mehr noch: Gerade aus der Riskanz bezieht das Twittern nun seinen Reiz. Hier wird ein Twitter-Genre begründet, das sich durch Prägnanz, Widerspruchsbereitschaft und Unerschrockenheit auszeichnet.

Beispiele 3: a) „Die spinnen, die Schweizer.“ b) „Die Europäische Union ist im Vergleich zu den agilen Unternehmensgiganten ein unbeholfener Pygmäe.“

Wir sind daran, Workshops für politisches Twittern zu lancieren. Im Mittelpunkt stehen nicht „Regeln“ und Rezepte für korrektes Politik-Twittern. Interessiert sind wir an der Erprobung von Praxis und an deren Reflexion. Neue Wege ergeben sich, wenn es Politikerinnen und Politiker gibt, die sie begehen.

Glaubensgelübde der Medienerziehung

Endlich wieder einmal ein Beitrag zur Medienerziehung, der intelligent ansetzt, über blosse „pädagogische“ Trivialmechanik hinaus kommt. Daniel Graf (@dani_graf), Berater für Campaigning und Kommunikation, hat sich im MamaBlog des Tages-Anzeigers geäussert.

Erziehen will jeder können, also sieht sich jeder genötigt, Formeln des richtigen Erziehens zu verbreiten. Bei diesem Spiel, und das erstaunt schon eher, mischen offiziöse Erziehungsfachstellen gerne mit, selbstverständlich pseudowissenschaftlich legitimiert. Dabei wird Erziehung, insbesondere wenn es um Medien geht, in bewärter Manier als instruktives Geschäft verstanden: Nicht vor drei, unbedingt nach sechs Jahren usw. Wenn etwas nicht ganz falsch ist, bedeutet es nicht, dass es richtig ist, es zu sagen, nur um eine Antwort geben zu können.

Zum MamaBlog und Daniel Grafs Artikel

Schöne neue Welt

Frust aus dem Bahnabteil

Wer hat schon versucht, in der Bahn zwischen Rorschach und St.Gallen so etwas Schlichtes wie eine „Telefonbuch“-App in Gang zu setzen? Selbstverständlich funktioniert das nicht (keine Netzverbindung). Feierabend-Traffic Hauptbahnhof Zürich: Selbstverständlich ist nun alles, schlicht alles was leitet, strahlt und verbindet, überlastet. Die guten Restaurant-Tipps, die mein Evernote kennen würde, sind jetzt gerade nicht abrufbar. (Die Situation verbessert sich ab 22 Uhr, nur dann werde ich schon gegessen haben.)

Dass ein Smartphone, nachdem es mit fettigen Händen „betatscht“ wurde, Touch-Sensitivität verliert: Selbstverständlich braucht es zuerst eine Reinigung bevor das Ding wieder zügig funktioniert. Selbstverständlich“, sagt mir der jugendliche Verkäufer im Shop für Mobiles, nach einer gewissen Zeit muss das Android vollständig herunter gefahren werden. Und, ja klar, das Ganze braucht anschliessend Zeit, um beim Neustart den Selbstinitialisierungsprozess korrekt durchzuführen. Logisch, so ein Betriebssystem wie das des ewigen Marktleaders braucht Updates. Diese werden automatisch installiert, doch dieser Prozess kann dauern. Logisch, dabei kann es auch Probleme geben, dann dauert es etwas länger als lang. Dass das offene WLAN „meiner Stadt“ nur an wenigen Stellen wirklich funktionieren kann, sieht doch jeder ein, der weiss, wie unendlich kompliziert es ist, eine solche Dienstleistung überhaupt zur Verfügung zu stellen. Na klar, so ein Smartphone kann, sobald es etwas älter als ganz neu ist, nicht mehr in der Lage sein, viel länger als zwei Stunden durchgängig zu „funken“. Und dass das WLAN im Postauto, na ja… Immerhin ist die Postauto AG so innovativ, sich um meine Netzverbindung zu kümmern (echtes Kompliment).

Wählt, was der Community nicht genehm ist

Eine kleine Polemik unter Freunden

„Ethos“, „Ethik“, „Moral“, „Verantwortung“ usw.: Das sind die Themen, welche die Community Sozialer Arbeit für die nächste Bodenseetagung offenbar favorisiert. Crowdsourcing hat zu diesem Themen-Ranking geführt, so vermute ich aufgrund einer Facebook-Meldung von Stefan.

Klar, denke ich mir, solche Themen schwimmen obenauf, sobald tagungsorientiert die Schwarmintelligenz Sozialer Arbeit angestossen wird. Denn diese Themen, besser: diese LABELS, versprechen als Tagungs- oder Kongressthema mindestens drei Vorteile:

Erstens: Sie schliessen an die GROSSEN ERZÄHLUNGEN an, und es muss niemand befürchten, dass an einer solchen Tagung jemand anders gemeint sein wird als DIE ANDEREN. Zudem fehlt GROSSEN ERZÄHLUNGEN der Mechanismus, sich selbst zu beschränken.

Zweitens: Angesichts der Mängelwelt, in der wir zu leben haben, öffnen solche Themen einen Horizont an Erwartungen, der jeden nächsten Schritt zwingenderweise in eine ferne Zukunft verlegt.

Zugegeben, diese beiden Punkte haben lediglich die Qualität stichwortartiger Einwürfe. Deshalb – drittens – mein gewichtigster Punkt ausformuliert:

Diese Labels verhindern, dass Soziale Arbeit mit ihren Risiken in das Blickfeld gerät (z.B. Literaturhinweis: Peter Schallbergers Studie). Auf diese Weise wird vermieden, dass beispielsweise darüber diskutiert werden muss, wie GENAU die Bedürfnisse, Interessen und Meinungen von Klientinnen und Klienten in den Berichten, Akten und Gutachten Sozialen Arbeit repräsentiert sind. Es geht nicht KONKRET um den Alltag der KLEINEN ERZÄHLUNGEN, nicht um Schattentexte einer Hilfe, die als solche oft nicht erlebt wird, nicht um Routinen der Sozialdisziplinierung oder aktuelle Prozesse der Deprofessionalisierung.

Vorschlag für einen mutigen Schritt: Wählt ein Tagungsthema, dass der Community nicht genehm ist: wählt ein unanständig konkretes Thema. Stösst konstruktiv eine wichtige Diskussion an, zu einem Thema, das zurzeit nur auf einer abgedunkelten Seite der Agenda zu entziffern ist.

Und wenn ihr es nicht so macht, wie ich es hier empfehle, komme ich trotzdem an die Tagung, um engagiert und konstruktiv mitzudiskutieren.

(Diskussion Facebook-Fachgruppe IFSA)

Meiden Teenager Museen und bald auch Facebook?

In diesen Tagen zu lesen: Die „sozialen Medien“ würden vergreisen. Tatsächlich: Ein starker Begriff wie „Vergreisung“ wurde in die Diskussion eingeführt. Sind bald nebst den Museen auch die sozialen Medien teenager-freie Zonen?

Die Meldungen, wonach die „sozialen Medien“ vergreisen würden, sind, wie soll ich sagen, beleidigend, jedenfalls für alle, die älter als 38,7 Jahre sind. Das Medianalter der Facebook-Nutzer wird in einer aktuellen Studie mit 38,7 angegeben (Quelle ComScore). Xing bringt es auf die Zahl von 43,8. (Leicht jünger werden die Nutzer von Twitter.)

Ja, ich bin älter als 38,7 und es will mir (nicht nur aufgrund meines Alters) nicht einleuchten, wieso das steigende Nutzungsalter in der Social-Media-Welt problematisch sein soll. Für alle, die sich Menschen im Alter von 38,7 gar nicht mehr vorstellen können: Wir essen in der Regel selbständig mit Messer und Gabel. Kolumnengeist (Spass) bei Seite: Es ginge darum, das steigende Nutzungsalter intelligenter zu thematisieren. Denn mit dem steigenden Nutzungsalter werden die ökonomischen Potenziale der „sozialen Medien“ besser und der Oekonomisierungstrend wird sich verstärken. Diese Entwicklung ist folgenschwer und zeitigt Folgen, die so einfach nicht einzuschätzen sind. An dieser Stelle mit forscherischem Interesse anzuschliessen, wäre interessant.

Wullfende Politiker, euphorisierende Kampagnen

„Social-Media-Manager, ein Trendberuf“, lese ich gerade. Na ja, angesichts der Aufgaben, die auf die Branche zukommen, verständlich: Wer sonst sollte den medial inszenierten Rückbau des Politischen – in Zeiten euphorisierender Social-Media-Kampagnen – besser forcieren können, als der Social-Media-Manager :-)

Also nicht nur ein Trendberuf, sondern auch eine Schlüsselaufgabe? „Wulffende“ Politiker übrigens gibt es stets genug, sie scheinen eine feste Grösse zu sein. Was wirklich zu überraschen vermag: Dass dies noch zu überraschen vermag.

Siehe in diesem Zusammenhang den ZEIT-Artikel: http://bit.ly/xaVrnl

Und wieder verpasst die Schule ihre Chance?

Eine Polemik

Die Bereitschaft der profilierten Meinungsäusserung im Internet, das Bedürfnis, Information, Fotos, Videos usw. im Web zu teilen, die Hoffnung auf die Viralität „Sozialer Medien“, das Vertrauen, sich in Communities authentisch einzubringen: Wie kommt all dies zustande?

Ohne diese Wie-Frage zu beantworten, wird nicht verstehbar, weshalb User bereit sind, sich im Web zu exponieren. Und sie sind in beachtlichem Ausmass bereit, dies zu tun. Das zeigen die puren Fakten.

Erklärungen, welche dieses Phänomen verstehbar machen, sind mittlerweile in wissenschaftlich fortgeschrittenem Stadium. Zum Beispiel: Die Entwicklung des Selbstkonzeptes ist in hohem Masse auf die Erprobung der Vorstellungen über sich selbst angewiesen. Diese Erprobung findet in sozialen Zusammenhängen statt, im permanenten Vergleich mit der sozialen Umwelt. Ueberlegungen, die nicht neu sind, sondern auf Festingers Social Comparison Theory zurück gehen. Entstanden sind sie in den frühen Fünfziger Jahren.

„Soziale Medien“ bieten ein bemerkenswert günstiges Umfeld für diese Erprobung. Denn in gewisser Weise bieten sie einen risikoarmen Raum. Zwar mag das rechtliche Prozessrisiko gesteigert sein („Gefahren“) usw. Die soziale Riskanz jedoch ist geringer. Einzelne Aspekte des Selbstkonzeptes lassen sich spielerisch „ausprobieren“, das „Identitätsmanagement“ lässt gerade in der sequenziellen Unverbindlichkeit des Netzes Spielraum für Selbstexperimente. Dadurch wird es möglich, sich selbst anders zu erfahren und die Grenzen der Selbstkontinuierung dehnbar zu halten.

Das permanente Ausrufen potenzieller Gefahren ist ungeeignet, „richtiges“ Verhalten zu erreichen. Die Wucht des Social-Media-Trends ist zu gewaltig und zu nachhaltig, die Entwicklung zu weit fortgeschritten. Zahlreiche Sicherheitswarnungen waren schon gestern billig und sind heute nur noch ermattend. Obwohl sich die Unterscheidung Privatheit/Oeffentlichkeit lange Zeit zu bewähren schien, ist nun eine „dritte Zone“ mitzudenken, die „öffentliche Privatheit“. Jugendliche lernen, übrigens eher im Web als in der Schule, sich an und in dieser „öffentlichen Privatheit“ zu bewähren. Und sie erwerben Kompetenzen, auf welche Schulen höchstens schulische, jedoch keine pädagogischen Antworten finden. Der repetierte Ruf nach Prävention wirkt – angesichts der Blindheit gegenüber dem Phänomen der „neuen Exponiertheit“ – wie ungehörte Marktschreierei zu Zeiten des Ausverkaufs.

Das hat Google nicht nötig

Kommentar

Google hat offenbar in 33 Ländern Fragmente aus dem Datenverkehr ungesicherter WLANs gespeichert – und dies bei Fototouren für Street View. Es handelt sich, gemäss Google, um Aufzeichnungen in 5-Sekunden-Sequenzen, um einen Fehler. Datenschützer sind zurzeit daran, offene Fragen zu klären. Soweit die Vorgeschichte.

Wer glaubt, Goolge habe es nötig, während Monaten durch die Strassen der Städte zu fahren und 5-Sekunden-Schnipsel zu sammeln, hat den Kern der Frage schlicht und einfach nicht verstanden. Google hätte ganz andere Möglichkeiten, auf Daten zuzugreifen, die bedeutend effektiver und effizienter wären. Um es klar zu sagen: Hier wird in der Möglichkeitsform gesprochen, um die (unvermeidliche) mediale Aufgeregtheit nicht leichtsinnig zu bedienen. Denn Google hat gute Gründe und existenzielle Interessen, Daten nicht missbräuchlich zu verwenden. Gerade weil alle Augen auf Google gerichtet sind, kann man sich hier sicherer fühlen als bei anderen Anbietern.

Google ist das euphorische Unternehmen schlechthin. In Hochzeiten der Euphorie ist die Gefahr gross, solche Fehler zu machen. Der Hauptfehler aber liegt meines Erachtens in der defensiven Informationspolitik von Google.

Googeln macht klüger. Irgendwie.

Man sollte Studien, deren Methodik nicht transparent ist oder deren Methodik man nicht genau nachvollziehen kann, mit Vorsicht aufnehmen. Doch die folgende Nachricht ist, wie soll ich sagen, mutmachend für eingefleischte Webianer. Wenn wir alt werden, wird alles besser. Beispielsweise deshalb, weil das Googeln Alte klüger macht, wie bei Heise heute zu lesen ist. Und immerhin handelt es sich bei Heise nicht um irgendeinen, sondern um einen renommierten Newsticker.

Vor allem das Suchen von Informationen im Internet soll unsere Gehirnzentren aktivieren. Endlich ist der Beweis erbracht, denke ich mir mutig, und natürlich stammt die positive Meldung aus Kalifornien. Jedenfalls gibt es Grund zur Freude bis die nächste Studie nachweisen wird, dass das ständige, meistens unergiebige Recherchieren im Internet kardiologisch gesehen die Lebenserwartung senkt.