Kategorie: Debatte

Vom Netz-Ich zum Ich-Netz

Die Süddeutsche widmet sich im Bund SZ Wissen dem Web 2.0. Interviewt wird Andreas Weigend. (Bei Maischberer im Februar 2006.) Der Web-Aktiviat, der das Web als „grösstes Verhaltenslabor“ sieht, im Gespräch mit Philipp Wolff:

„Den einen Web-Autor fasziniert, dass er potenziell Hunderte Millionen von Lesern erreicht, den anderen der Gedanke, dass ein ganz bestimmter Mensch ihn online entdeckt.“

„Aus den vielen Netz-Ichs entsteht ein Ich-Netz, in dem wir verschiedene Dimensionen unserer Persönlichkeit auf neue Art und Weise ausleben können.“

Zum SZ-Wissen-Interview

Blogjahr 2006

Unser höchst subjektiver Rückblick auf das Blogjahr 2006

In diesem Jahr kamen einige spannende Podcast-Blogprojekte ins Rollen, von einem berichteten wir vor kurzem, und zwar von Wanhoffs wunderbarer Welt. Zu nennen ist auch das Podcast im Bildungskontext. Im Gegensatz dazu konnten Videoblogs – bezogen auf den deutschsprachigen Raum – nur punktuell überzeugen. Wem es Video-Schnipsel angetan haben, der schaut sich direkt bei YouTube um – oder bei ähnlichen Angeboten.

In der Fachblogszene hat es unseres Erachtens eine Bewegung in Richtung „Professionalisierung“ gegeben. Es scheinen sich Blogs durchzusetzen, die mit viel Aufwand von Profis bewirtschaftet werden. Dies deutet auch unsere kleine Befragung an. Dort wurden das Namics-Blog sowie das Jobblog besonders positiv bewertet. Auch bei Basicthinking – ebenfalls ein Favorit unserer User – handelt es sich um ein quasi-professionelles Blog.

Bürgerjournalismus, ein schillernder Begriff, der auch im Jahr 2006 gerne und immer wieder bemüht wurde. Doch, wo genau sich im deutschsprachigen Raum etwas breit macht, was einen solch hochtrabenen Begriff rechtfertigte, bleibt vorerst unklar. Die Mittel allein, sich öffentlich Aufmerksamkeit zu verschaffen, führen nicht geradewegs zu so etwas wie Bürgerjournalismus.

Solide und kontinuierlich haben sich bereits erfolgreich etablierte Weblogs entwickelt. Das Weiterbildungsblog ist nach wie vor Klasse, das gilt auch für den Medienspiegel. Dem Dienstraum fehlt der alte Schwung. Geht es um Social-Web-Themen, so sind Netzlernen, Klaus Eck und Jan Schmidt – mit unterschiedlichen Perspektiven – gute Adressen.
Von Glossen, Kommentaren und Kolumnen getragen wird das Basicthinking, Robert Basic hat auch 2006 nichts an Dynamik eingebüsst. (Woher nimmt Robert nur die Energie?) Apropos Energie und Zeit: „… Ich frag mich echt, wo andere Leute, die tagsüber arbeiten, die Zeit zum Bloggen hernehmen, die Glücklichen“, fragt Stefan Mosel in seinem Plasticthinking. Auch bei Plasticthinking wurde, wenn der Eindruck nicht täuscht, gemächlicher gebloggt 2006. Und wenn wir gerade dabei sind: Das neue Sozialjournal-Team hat den nötigen Schwung für die Wiederbelebung des Blog-Klassikers nicht zustande gebracht. Wie es beim Sozialjournal weiter geht, ist wieder offen.

Aufgegeben haben 2006 die Pendlerblogger, welche die Gratis-„Zeitung“ 20Min zu paraphrasieren versuchten. Fast aufgegeben hat Une fille du limmatquai… Die Blog-Instanz aus Zürich ist nun zurück und berichtet wieder aktiv von den Höhen und aus den Niederungen des Alltags.

Unter den Kampagnen-Bloggern ist und bleibt die Blogbar Favorit. Dort wird mit journalistischer Raffinesse recherchiert, polemisiert und operiert. Immerhin: Wichtige Fragen rund um StudiVZ wurden auf diese (Blog-)Art öffentlich.

In der Ostschweiz gibt es mittlerweile ebenfalls eine aktive Blogszene. Dani Fels, Martin Hofmann, Selina Ingold, Sara Bühlmann, Lokalheld und Reto Eugster: Das sind Namen, die einem hierzu einfallen, wobei die einzelnen Blog-Projekte teilweise von Teams bewirtschaftet werden. An der FHS St.Gallen ist 2006 das Fachhochblog in die Gänge gekommen, Martina Götsch und Sara Bühlmann sind Initiantinnen dieses Studierenden-Projektes. 2007 übrigens ist eine Tagung in der Ostschweiz zum Thema Social Web angekündigt (Initianten: Selina Ingold, Martin Hofmann, Reto Eugster). Ebenfalls für 2007 ist eine Neustrukturierung bei der Blogwerkstatt angesagt (dazu gehört zum Beispiel die Medienpraxis).

Bei den Blog-Tools hat sich 2006 der Trend hin zu WordPress als Quasi-Standard fortgesetzt. Mittlerweile ist auch WordPress Schweiz online, besonders aktiv aber ist WordPress Deutschland.

Uns hat das neue Projekt Blaublog 2006 speziell Spass gemacht. Gefreut haben wir uns über zahlreiche unerwartete Reaktionen, über die spontane Zusendung von Texten und Bildern.

Einige Stichworte zu „unserem“ Blogjahr 2006. Bis bald, im neuen Jahr!

„Ich lehne die Auszeichnung offiziell ab“

Das US-Magazin Time wählt jeweils die Person des Jahres. Ein traditionsreiches Medienritual zum Jahreswechsel.

1938 war es Adolf Hilter. 2004 wurde George W. Bush geehrt, dann folgte im letzten Jahr Bill Gates. Auch Chomeini brachte es zu diesem Time-Erfolg (1979). Die Reihe der Geehrten ist schillernd – und mehr als das: Sie ist insgesamt fragwürdig. In diesem Jahr aber werden du und ich gewürdigt. Eine besonders originelle Idee hat sich das US-Magazin Time zum Jahresabschluss 2006 einfallen lassen. In diesem Jahr wird als „Person des Jahres“ der Internet-User schlechthin gefeiert. Denn wir haben viel geleistet in diesem Jahr: So manchen ADSL-Ausfall überdauert (Schweiz), das Ensemble aller Beta-Versionen als Web 2.0 akzeptiert, bei Wikipedia Fronarbeit geleistet und unsere Blogs regelmässig gefüttert. Kurzum: Wir haben es verdient, Person des Jahres zu werden. Ob wir uns aber in diese Geehrtenreihe einfügen wollen? Ich für mich lehne die Auszeichnung hiermit offiziell ab.

Intrasparente Bewertung

Problematisch sind suchmaschinenorientierte Bewertungsverfahren von Websites, wie PageRank, meines Erachtens nicht grundsätzlich. Was sie jedoch problematisch machen kann, ist, dass sie nicht nach vollständig transparenten Mechanismen funktionieren. Dies bedeutet, die (Re-)Organisation des Wissens (im alltagssprachlichen Sinn) ist nur beschränkt nachvollziehbar. Die Neuer Zürcher Zeitung berichtet heute über die mathematischen Grundlagen von Googles PageRank.

Fernuniversität für Terroristen

Fernuniversität und Trainingscamp zugleich sei das Internet für Terroristen, sagte Innenminister Schäuble heute in Berlin. Fakt ist, dass das Internet auch Fernuniversität und Trainingscamp für Lebensretter, Nobelpreisträger, Priester, Seniorengruppen, Krebsforscher, lerngehemmte Jugendliche, Tierschützer, Pilzsammler, Börsenmakler, Jugend-Forscht-Studenten, Bibelgruppen – ja sogar für Politiker ist. Das Internet streut Chancen und Gefahren gleichzeitig. Und das eine ist nicht ohne das andere zu haben. Dies ist die Ausgangslage, die sich für Medienpolitik stellt. Verteufelungen und billiger Kulturpessimismus mögen der Politik genügen. Diese Bescheidenheit ist nicht neu. Es gehört aber zum Wesen schlechter Argumente, dass sich durch ständiges Wiederholen nicht besser werden.

Brauchen wir Skandale?

Die Frage ist bei Robert Basic in seinem Artikel Top-Liste der Blog-Skandale nicht explizit gestellt, aber sie steht im Raum: Braucht ein „funktionierendes“ Blog Skandale? Und falls ja: Sind nun doch wieder die Recherche-Journalisten gefragt, die genau darin geübt sind, im Aufdecken und Zuspitzen? Immerhin verfügen die „Top-Skandal-Blogger“, deren Arbeit hier durchaus geschätzt wird, über journalistische Ausbildungen oder mindestens Erfahrungen. (Wenn mich nicht alles täuscht.)

Blogs ungeeignet

Unternehmungen wie das Schweizer Fernsehen würden gut daran tun, keine Blogs zu betreiben. Dieses Format ist ungeeignet für solche Sendeanstalten. Dann würden sie sich Peinlichkeiten der folgenden Art ersparen. Jedenfalls ist im Weblog von Kurt Aeschbacher, der es gewagt hat, in seinem Blog seine persönliche Meinung zu äussern, folgende „Korrektur“ zu lesen:

„Der Aeschbacher-Blog über Elton John hat in den letzten Tagen für viel Gesprächsstoff gesorgt. Kurt Aeschbacher hat darin seine persönliche Sicht der Dinge dargestellt. Einige empfanden diese als verletzend. Das wollte Kurt Aeschbacher nicht. Heute hat er nach Absprache mit den Verantwortlichen von SF den Blog-Eintrag über Elton John gelöscht. Wir bitten um Verständnis.“

Natürlich ist der Beitrag auch weiterhin im Google-Cache zu lesen. Nein, gelöscht bedeutet heute nicht mehr gelöscht.

Der Bürger spricht

Bürgerjournalismus ist ein grosses Wort, das zurzeit – mindestens in der Blogszene – euphorisierend wirkt. Was damit an Erwartungen einlösbar sein kann, zeichnet sich erst vage ab. Deutlicher ist bereits, was unter einem solchen Label nicht möglich ist. Hugo E. Martin und Stefan Büffel beschäftigen sich mit der Fortsetzung von Readers Edition, einem „Bürger-Blog“ der Netzeitung. Dort wird gerade die Frage angegangen, ob das im Juni 2006 gestartete Blog Readers Edition in der Krise sei. Im Rahmen des neuen Projektes soll eine eigenständige Plattform aufgebaut und etabliert werden. Das Projekt wird in einem Weblog begleitet (dessen Name für die meisten „Bürger“ in einem Zug nicht aussprechbar ist).