Von Reto Eugster

An der Tagung Innovative Schools (Microsoft Schweiz, 3.6.2016, Wallisellen) hat Philippe Wampfler bereits mit dem Referatstitel seine Position klar gemacht: „Ich würde nur Lehrkräfte mit digitalem Portfolio anstellen.“ 

Vor allem die Begründung seiner Position war instruktiv und inspirierend. Gemäss Philippe sprechen drei Gründe dafür, dass Lehrpersonen „persönliche Lernnetzwerke“ aufbauen, in denen „echte Kollaboration“ ermöglicht wird: „a) lebenslanges Lernen, b) Verständnis für die medialen Praktiken Jugendlicher, c) wirksame Oeffentlichkeitsarbeit“.

Philippe hat mich motiviert, meine Gründe auf den Punkt zu bringen, weshalb ich Studierende an der Hochschule anrege, persönliche Lernnetzwerke aufzubauen und sich als Teil davon zu begreifen. Ein Teil der gesetzlich verankerten Ansprüche an eine Hochschule, subsumiert unter dem Begriff der Wissenschaftlichkeit, kommen mir dabei entgegen.

Wissenschaftlich bedeutet, knapp formuliert:

a) Ich bin bereit, meine Aussagen zu begründen (Prinzip Begründungspflicht) sowie die Methoden der Erkenntnisgenerierung transparent und hinterfragbar zu halten (Prinzip Methodenkritik). Dazu gehört, in Anlehnung an Umberto Eco formuliert (*), einen Gegenstand so präzis zu formulieren, dass er für Dritte erkennbar wird. Damit wird die Voraussetzung für den nächsten Punkt geschaffen.

b) Meine Aussagen sollen Dritten diskursiv zugänglich werden (Diskurs hier vereinfacht gleichgesetzt mit Debatte). Aussagen sind Aspekte eines Diskurszusammenhangs und deshalb adressiert an eine scientific community. Was entsteht, entsteht als „Wissensteppich“, als „Erkenntniskörper“.

c) Neugier ist mein Antrieb und Neugier öffnet für Ueberraschungen. Wissenschaft bedeutet, immer wieder von Neuem Ueberraschungsfähigkeit herzustellen. „Gewissheiten“ für ungewiss zu erklären, ist Grundlage wissenschaftlichen Fortschritts. Umberto Eco nuanciert an anderer Stelle: Wissenschaft soll „Dinge, die schon gesagt worden sind, aus einem neuen Blickwinkel sehen“ (*). Dazu braucht es die Gier nach Neuem, die Neugier.

Präzis im Hinblick auf diese drei Aspekte des wissenschaftlichen Arbeitens, bzw. einer wissenschaftlichen Haltung, haben pesönliche Lernnetzwerke – und hat Social Media – Entscheidendes zu bieten.

a) Aktivierte, „gepflegte“ Lernnetzwerke bieten Studierenden (sozial) niederschwellig die Möglichkeit, ihre Begründungen zu erproben, diese von blossen Annahmen und Alltagsgewissheiten zu unterscheiden, zu revidieren, durchzusetzen usw. Lernnetzwerke sind per se Hinterfragungsinstanzen. In Lernnetzwerken kommt Peer-Support zustande, aber sie dienen auch dazu, bewährte Expertinnen und Experten zu adressieren. (Beispiele dafür kenne ich aus meiner täglichen Praxis.)

b) Die Dramaturgie des Argumentierens ist zentrales Moment dieser medialen Praktiken, und zwar nicht nur in wissenschaftsnahen Foren, scientific groups usw. Ein excellentes Uebungsfeld bietet sich an. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass Social Media ermöglicht, Aufmerksamkeit zu binden und Resonanz zu erzeugen. Die zeitliche Distanz zwischen Publikation und Feedback ist wesentlich kürzer als bei einer Print-Publikation. Nur schon deshalb ist es attraktiv, Social Media als „Fitnessstudio“ für den Aufbau von Argumentationskompetenz zu nutzen.

c) Wenn nicht für neugierige Menschen, für wen sonst könnte das Internet erfunden worden sein? Meine nicht weiter verifizierte Erfahrung ist, dass Lehrpersonen mit einer so genannten Internet-Aversion nicht selten unter einem generalisierten und behandlungsbedürftigen Mangel an Neugier leiden. Eine Haltung der Neugier zu entwickeln, ist aber die Pointe jeder wissenschaftlichen (und pädagogischen) Haltung. Dazu braucht es selbstverständlich nicht zwingend „Internet“, „Neue Medien“ oder „Social Media“: Aber diese Zugänge eröffnen einen Möglichkeitshorizont, den zu ignorieren, fragwürdig geworden ist.

Hier schliesst sich der Kreis zu Philippes Referat. Social Media biete direkte Zugänge auch zu Expertinnen und Experten, wie kaum eine andere soziale Praxis, argumentierte er in Wallisellen. Studierende klären ihre Fragen direkt mit dem bekannten Soziologen Peter Fuchs, dessen Lehrbuch wir nutzen. Stewart Butterfield, Slack-Chef, antwortet direkt auf eine Studentenäusserung und ein Teil unserer Dozierenden mischt sich in Studierendendiskussionen aktiv ein. Lernen wird inszeniert als Erprobung von Aussagen, die mittels argumentativer Dramaturgien zustande kommen, in diskursiven Zusammenhängen Resonanz erzeugen, die Neugier voraussetzen und Neugier erzeugen.

Voraussetzung für gelingende Schule.

(*) Eco, Umberto: Wie man eine wissenschaftliche Abschlussarbeit schreibt. Doktor-, Diplom- und Magisterarbeit in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Heidelberg: 1988.

Referat von Philippe Wampfler, Zusammenfassung
Innovative Schools, Microsoft Schweiz

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